Ich bin ihr Schweigen (Splitter)

Juli 2, 2024
Ich bin ihr Schweigen (Splitter Verlag)

Barcelona, Katalonien. Der jungen Psychiaterin Eva Rojas wurde die Approbation entzogen. Eine der Auflagen, diese wieder zu erhalten ist, sich selbst in psychiatrische Behandlung zu begeben. So sitzt Eva nun in der Praxis von Dr. Llull, ganz in der Nähe der Sagrada Familia und berichtet ihm im Rahmen der Therapie-Stunde, was sie in der letzten Woche so alles erlebt hat. Das hat es nämlich in sich, zum immer größeren Erstaunen des Doktors: Penelope, eine von Evas langjährigen Patientinnen und jüngster Spross der stinkreichen Weinbaufamilie Monterós, bat sie, als Vertrauensperson mit zur Testamentsverlesung der Großmutter zu kommen. Die lebt zwar noch, zählt inzwischen 102 Lenze und ist geistig topfit, will aber die unter Umständen heikle Angelegenheit vor ihrem Tod geregelt wissen.

Heikel deshalb, weil Oma Monterós fünf Töchter und Söhne hat, allesamt mit einem „schwierigen“ Charakter, gelinde gesagt. Das merkt auch Eva, als ihr auf dem Landsitz der Monterós schnell und unverblümt Feindseligkeiten von allen Seiten und Mitgliedern der Familie entgegen schlägt. Offenbar das Alphamännchen und gleichzeitig der eigentliche Firmenchef ist Francesc Monturós, ein berüchtigter Frauenheld. Auch er kabbelt sich mit Eva. Und ausgerechnet er wird später tot aufgefunden. Ein Giftmord, wie sich herausstellt. Und entdeckt wird seine Leiche ausgerechnet von Eva, die zu allem Übel dann auch gleich von der Polizei als Verdächtige eingestuft wird…

So beginnt ein in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Krimi mit einer Hauptperson, die eine komplexe und etwas exzentrische (wie sie selbst weiß und sagt) Persönlichkeit aufweist: Eva hat eine bipolare Störung. Sie schläft schlecht und wenig, redet viel – gerne und gerade heraus, wechselt fliegend das Thema und verbeißt sich schnell in den Fall. Sprich, sie ermittelt auf eigene Faust – und das erstaunlich gründlich, unkonventionell, stets riskant und auch immer mal wagemutig. Für uns Leserinnen und Leser der Clou sind dabei die Stimmen, die Eva immer hört. Die stammen von drei verstorbenen Verwandten, darunter ihre Großmutter, die für uns sichtbar sind, die gerne süffisant und treffend das Geschehen kommentieren – für Eva sind sie praktisch unsichtbare Ratgeberinnen.

Bei den Mitgliedern der Familie Monterós stehen Macht und Geld über allem (man stellt Cava her, einen Qualitätsschaumwein, quasi das Pendant zum französischen Champagner). So ist bis auf Penelope niemand vom Tod von Francesc ernsthaft oder nachhaltig erschüttert, was Eva sofort auffällt. Auch verhalten sich die Monterós seltsam und fast alle scheinen vom Tod des Bruders profitieren zu können, inkl. seiner Witwe. Eva sondiert die Verdächtigen, findet diverse Leichen im Keller und wird dabei selbst von der die eigentliche Untersuchung leitenden Polizistin kritisch beäugt (Eva nennt sie salopp Merkel, aufgrund einer nicht von der Hand zuweisenden Ähnlichkeit und Steifheit). Nach und nach entdeckt Eva Verbindungen und muss sich schließlich ihren größten Ängsten stellen und ein altes Trauma überwinden.

In seinem neuen Band hält Autor und Zeichner Jordi Lafebre („Trotz allem… Liebe“, „Lydie“,  „Wundervolle Sommer“) die Spannung stets hoch und setzt seine ungewöhnliche Heldin Eva ins Zentrum des Geschehens, bis es zur originellen Auflösung und zum Beweis ihrer Unschuld kommt. Während Eva gerne eine sarkastische Ader beweist, sorgen ihre drei sichtbar unsichtbaren Begleiterinnen für eine Portion warmherzigen Humor – so bleibt bis zum Schluss ein wunderbares Lesevergnügen. Dabei sind Lafebres Zeichnungen immer dynamisch und akzentuiert, in einem klaren, eleganten wie pointierten Strich, wobei sich Lafebre die spitze Nase seiner Heldin aus dem Manga-Genre entliehen hat. Dazu gesellen sich immer wieder optisch originelle Stilmittel, wie ein glühendes Telefon oder ein sprichwörtlich rauchender Kopf beim Grübeln. Ein absolut empfehlenswerter Band! (bw)

Ich bin ihr Schweigen
Text & Bilder: Jordi Lafebre
112 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
25 Euro

ISBN: 978-3-98721-393-9

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